Am Gericht

Schiefgelaufen

Drei Männer wollen eine Post überfallen. Die Polizei erwischt nur zwei. Dann büxt einer aus dem Gefängnis aus. Und am Ende steht niemand vor Gericht. Eine kleine Chronik des Scheiterns.

Von Sina Bühler, 07.02.2018

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Ort: Kreisgericht Rorschach
Zeit: 9. Januar 2018, 9.00 Uhr
Fall-Nr.: ST.2016.11799
Delikt: versuchter Raub, strafbare Vorbereitungshandlungen zu Raub, mehrfaches Führen eines entwendeten Motorfahrzeugs, missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern.

Es ist 7.20 Uhr an einem Herbsttag im Oktober 2015, als in Rorschacherberg über dem Bodensee zwei Männer in eine Postfiliale eindringen. Sie halten einer Postangestellten den Mund zu, schieben sie durch den Personaleingang, gelangen so in den Vorraum und befehlen ihr, eine zweite Tür zu öffnen.

Aber dann läuft etwas schief.

Die Frau behauptet, sie könne die Tür von aussen nicht öffnen, sie wehrt sich und die zwei Männer schaffen es nicht länger, ihr den Mund zuzuhalten. Sie schreit um Hilfe. Als die Männer in dem Moment auch noch ein Piepsen hören, geben sie auf: Fluchtartig rennen sie aus der Post, verlieren dabei einen Pfefferspray, steigen zu einem dritten Mann, der in einem VW Golf wartet, und rasen davon.

Die drei Männer bleiben unbekannt. Nur das Auto, das ein paar Tage vorher in Österreich gestohlen worden war, wird später gefunden – aufgefüllt mit Kies und Sand, um allfällige Spuren zu verwischen. Die Männer übersehen einen Schraubenzieher im Türfach des VW Golf. Die Polizei findet darauf DNA-Spuren und speichert sie in der Datenbank.

Der dilettantische Überfall ist nur ein Fehler von vielen in diesem Fall. Denn dann läuft wieder etwas schief. Dieses Mal bei der Polizei.

Es ist der 4. April 2016, ein halbes Jahr nach dem gescheiterten Postüberfall in Rorschacherberg. Einer Polizeipatrouille fallen um 13.45 Uhr zwei Männer auf, die eine Quartierstrasse hoch- und dann wieder runtergehen in Richtung Dorfkern, wo sich eine Post befindet. Die Männer tragen eine Sporttasche mit sich. Die Polizisten sehen einen dritten Mann, der in einem VW Golf mit österreichischem Kennzeichen dieselbe Strasse entlangfährt. Sie zählen eins und eins zusammen und nehmen den Fahrer des Golf fest.

Die Polizisten rufen Verstärkung, um auch die beiden anderen Männer zu verhaften, die sich mittlerweile in eine Gartenbeiz gesetzt haben. Doch die ergreifen die Flucht, als sie die Polizisten sehen, nur einer wird erwischt. Dazu die Sporttasche. Sie bestätigt den Verdacht der Polizisten. Der Inhalt: Räuberwerkzeug – dunkle Jacken, dunkle Handschuhe, eine dunkle Schirmmütze, ein zusammengeknüpfter Strumpf, eine Pistole und zwei Pfefferspraypistolen.

Die zwei verhafteten Männer leben im Ausland und waren zu Besuch bei einem Freund in der Schweiz. Vorgeblich, um Parkett zu kaufen und ein paar Bordelle zu besuchen. Sie kommen in Untersuchungshaft. Einer wird im Mai 2017 für einen Raubüberfall auf das Hotel Bad Horn im Jahr zuvor verurteilt: Er war mit einem gestohlenen Velo geflohen, DNA-Spuren auf dem Fluchtfahrzeug verrieten ihn.

Der zweite, der Fluchtautofahrer M. S., hätte im Januar 2018 vor dem Kreisgericht Rorschach erscheinen sollen. Die Anklage: versuchter Raub in Rorschacherberg, geplanter Raub in Rebstein, mehrfache Fahrt in gestohlenen Fahrzeugen.

Hätte – denn wieder ist etwas schiefgelaufen. Dieses Mal im Gefängnis.

M. S. kam nach seiner Festnahme in Untersuchungshaft, dann in den vorzeitigen Haftvollzug. 194 Tage sass er hinter Gittern, zuletzt in St. Gallen in einer Zelle im Erdgeschoss mit Blick auf die Strasse. Dann sägte er in der Nacht auf den 15. Oktober 2016 die Gitterstäbe seiner Zelle durch, kletterte aus dem Fenster und rannte weg. Woher er das Sägewerkzeug hatte, weiss die Polizei nicht. Der Mann floh nach Kroatien und weigert sich seither, für die Verhandlung in die Schweiz zu reisen.

Die Gerichtsverhandlung am 9. Januar in Rorschach findet ohne den Beschuldigten statt. Ganz unter sich bleiben die Juristen aber nicht. Auf den Zuschauerplätzen sitzt die Postangestellte, die den Überfall in Rorschacherberg verhinderte.

Der Staatsanwalt fasst sich kurz, fordert einen Schuldspruch. Der Fall Rorschacherberg sei eindeutig: Die DNA des Beschuldigten sei am Schraubenzieher im ersten Fluchtauto gefunden worden. Er sei ein «klassischer Kriminaltourist», der in Kroatien mehrfach vorbestraft sei – wegen Diebstahl, Fahrzeugdiebstahl, Erpressung, Betrug, Urkundenfälschung, Raub und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung.

Alles klar also? Keineswegs, sagt der Verteidiger. Denn: Es ist schon wieder etwas schiefgelaufen. Dieses Mal bei den Ermittlungen.

Der Verteidiger kündigt an, er werde seinen Job heute richtig machen, «mit aller Gründlichkeit». Mit dem Beschuldigten habe er nie persönlich sprechen können: «Ich habe das Mandat erst übernommen, als er schon aus dem Gefängnis ausgebüxt war.» Egal. Das Aktenstudium reichte. Denn dann zerpflückt er Punkt um Punkt die Ermittlungen, auf denen die Anklage fusst.

  • Den Wangenabstrich für den DNA-Abgleich hätte die Polizei gar nie machen dürfen. Im Formular an den Staatsanwalt fehlte das entsprechende Kreuz.

  • Die DNA-Analyse zeige nur ein unvollständiges Profil.

  • Die DNA-Spur auf dem Schraubenzieher bedeute noch lange nicht, dass sein Mandant am Postraub beteiligt gewesen sei. Das Werkzeug hätte irgendwie ins Auto kommen können.

  • Dass in beiden Fällen ein gestohlener Volkswagen benutzt wurde, sei Zufall: «Nur weil er VW-Fan ist, heisst das nicht, dass er auch gefahren ist.»

  • Die Einvernahme seines Mandanten sei ohne Verteidiger oder amtlichen Übersetzer erfolgt. Stattdessen hätte sie ein kroatisch sprechender Polizist durchgeführt. Ein zweiter anwesender Polizist habe aber kein Wort verstanden.

  • Die Analyse der Handydaten ergebe, dass der Mann zum Zeitpunkt des Postraubes in Rorschacherberg nicht in der Schweiz gewesen sei.

  • Auch ein Schreiben seiner Psychiaterin verschaffe ihm ein Alibi: Am Tag des Postraubs habe er eine Therapiesitzung besucht.

  • Zudem sei dies auch der Grund, warum er später aus der Haft geflohen sei: Er habe im Gefängnis seine Therapie nicht fortsetzen können und auch keine Medikamente erhalten.

Zusammenfassend sagt der Verteidiger: Die Beweise seien ungenügend, um den Fahrer für den Postraub in Rorschacherberg zu verurteilen. Ausserdem stehe ihm eine Genugtuung und Entschädigung für die Haft von insgesamt 57’900 Franken zu. Einzig die Fahrt mit dem gestohlenen Auto durch Rebstein gebe M. S. reumütig zu.

Und tatsächlich: Das Gericht spricht M. S. frei – vom Postraub ebenso wie von den Vorbereitungshandlungen zum Raub in Rebstein. Die Entschädigung und die Genugtuung für die Haft lehnen die Richter ab. Dazu fehle die Grundlage. Ins Gefängnis muss M. S. aber nicht: Die Strafe für die Fahrt im gestohlenen Auto hat M. S. bereits abgesessen – ehe er aus der Haft floh.

Illustration Friederike Hantel