Ein Lächeln in Peking

Die Augen der Welt sind auf Donald Trump gerichtet, der heute am World Economic Forum in Davos auftritt. Bereits nach einem Jahr seiner Amtszeit ist klar: Für China ist der 45. Präsident der USA ein gigantisches Geschenk.

Ein Kommentar von Mark Dittli, 26.01.2018

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Ein Lächeln in Peking
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Die Welt schaut nach Davos: Donald Trump ist da. Heute Freitagnachmittag – sofern alles nach Plan verläuft – wird der Präsident der Vereinigten Staaten die Abschlussrede am World Economic Forum halten.

Trumps Auftritt fällt fast auf den Tag genau auf sein erstes Amtsjubiläum. Viel wurde in dieser Zeit über ihn geschrieben; seine Eskapaden, die unzähligen Personalwechsel im Weissen Haus, Einreisestopps für Muslime und der imaginäre Mauerbau zu Mexiko, sein kaum kaschierter Rassismus, bizarre Twitter-Tiraden, sein Kampf für Steuersenkungen und gegen die Gesundheitsreform von Barack Obama.

Egal, wie lange er im Amt sein wird – Trump wird tiefe Furchen in der Gesellschaft Amerikas hinterlassen.

Doch die grössten und wahrscheinlich folgenschwersten Auswirkungen seines ersten Präsidialjahres sind nicht in den USA selbst zu sehen, sondern auf der geostrategischen Bühne: Trump hat es innerhalb weniger Monate geschafft, das Ansehen der Vereinigten Staaten empfindlich zu schwächen. Das hat Folgen in Lateinamerika, Afrika und – ganz besonders – in Asien.

Trump verhilft Xi zu Glanzauftritt

Die grösste Gewinnerin des trumpschen Schlingerkurses steht bereits fest: die Volksrepublik China. Und mit ihr der Mann, der vor zwölf Monaten als Stargast und Eröffnungsredner am WEF in Davos war: Xi Jinping, Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas.

Xi präsentierte sich vor einem Jahr in Davos als Kämpfer gegen den Klimawandel und Verfechter des freien Handels: «Staaten sollten davon absehen, ihre eigenen Interessen auf Kosten anderer zu verfolgen», sagte Xi am WEF, und: «Wer seine Grenzen abschottet, schliesst sich in einem dunklen Raum ein und erhält weder Licht noch Luft (…) Niemand läuft als Sieger aus einem Handelskrieg.»

Eine rednerische Glanzleistung, die ganz schön viel Chuzpe erfordert: Dem Präsidenten eines autokratischen Einparteienregimes, das seine heimische Wirtschaft mit allen lauteren und unlauteren Mitteln der Kunst schützt, gelingt es, sich glaubhaft als Champion einer freien, fortschrittlichen Welt zu präsentieren.

Das wäre undenkbar gewesen, hätte nicht der damals frisch gewählte Trump mit seiner Kampfrhetorik den Boden für Xis glanzvollen Auftritt geebnet.

Seinen Wahlversprechen liess Trump unmittelbar nach der Amtsübernahme am 20. Januar 2017 Taten folgen: In einer seiner ersten Handlungen kündigte er die Trans-Pacific Partnership (TPP) auf, ein unter Präsident Obama verhandeltes Freihandelsabkommen, dem zwölf Staaten in Asien, Ozeanien, Nord- und Lateinamerika angehören sollten.

Damit düpierte Trump ganz besonders Shinzo Abe, den Premierminister Japans, der enorm viel politisches Kapital aufgewendet hatte, damit Japan dem TPP-Abkommen beitritt. Auch die Regierungen Vietnams, Singapurs und Malaysias, wichtige Volkswirtschaften Südostasiens, wurden brüskiert.

Damit nicht genug: Trump beleidigte den Premierminister Australiens in einem Telefongespräch, behandelte Taiwan, als wäre die Insel bloss ein Verhandlungspfand mit der Volksrepublik China, und wetterte mehrmals gegen das Freihandelsabkommen mit Südkorea, einem unentbehrlichen Partner der USA in Asien.

Milliarden für Infrastrukturprojekte

Xi Jinping sah zu – und erntete: Sofort nach dem Ausstieg der USA aus dem TPP-Abkommen lud Chinas Präsident die daran beteiligten Staaten ein, an einem von der Volksrepublik gestalteten Handelsabkommen, der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), teilzunehmen.

Und so ging es weiter:

In Malaysia investiert China mehrere Dutzend Milliarden Dollar in den Bau von neuen Bahnlinien, Häfen und Stromkraftwerken.

In Sri Lanka finanziert die Volksrepublik den Bau von Tiefseehäfen – und nimmt sie in Besitz, als die Regierung in Colombo die Kosten nicht berappen kann.

In Burma baut China Strassen, Häfen, Bahnlinien und Ölpipelines; in Laos und Kambodscha weitet die Volksrepublik ihren Einfluss systematisch aus; in Pakistan baut China Strassen und einen Tiefseehafen, eine Hochgeschwindigkeitsbahnlinie in Indonesien, Bahnterminals in Kasachstan, und, und, und.

Donald Trump hat es innerhalb weniger Monate geschafft, das Ansehen der USA empfindlich zu schwächen. Das hat Folgen.

Viele dieser Projekte laufen unter dem Banner der «Belt and Road»-Initiative, der neuen Seidenstrasse zu Wasser und zu Land. Xi Jinping hat sie im Jahr 2013 ausgerufen. Die Projekte verfolgen ein simples Ziel: Sie binden die Empfängerstaaten an China. Und sie ziehen sie Schritt für Schritt aus dem Einflussbereich der USA, des grössten strategischen Rivalen Pekings.

Asiens Regierungen – dasselbe gilt für Afrika und Lateinamerika – denken pragmatisch. Wenn sie das Gefühl erhalten, die USA seien kein verlässlicher Partner mehr, wenden sie sich dem anderen starken Spieler zu: China.

Amerikas Soft Power erodiert

Soft Power, also die Fähigkeit, andere Staaten nicht mit Waffengewalt, sondern mit Idealen, Lebensstil und Kultur zu beeinflussen, war jahrzehntelang eine Stärke der USA. Nicht zuletzt im Kontrast zum maoistischen China.

Doch unter Trump erodiert die Soft Power der Vereinigten Staaten. Ein Beispiel: Als Barack Obama im November 2010 Indonesien besuchte und an der Universität von Jakarta eine Rede hielt, kam das öffentliche Leben in der Metropole zum Stillstand. Millionen lauschten über ihr Autoradio den Worten des Präsidenten. Trump dagegen hat es noch nicht einmal geschafft, einen Botschafter für den Hauptsitz des ASEAN – des Verbands Südostasiatischer Nationen – in Jakarta zu ernennen.

Das ist kein Einzelfall: 60 Botschafterposten der USA sind derzeit weltweit unbesetzt, darunter in Seoul, Singapur, Canberra, Berlin, Buenos Aires und Pretoria.

Der Autor Evan Osnos, einer der bestinformierten westlichen Beobachter Chinas, beschreibt in einem brillanten Beitrag im «New Yorker», wie überrascht Chinas Staatsführung im November 2016 war, als Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt wurde. Sofort beauftragte Peking die führenden Thinktanks der Hauptstadt, den Charakter und Werdegang Trumps zu untersuchen, damit die Staatsführung Strategien ableiten konnte, wie mit dem neuen Mann am besten umzugehen sei.

Die Erkenntnis der Denker: Trump mag es, persönlich gelobt zu werden, und ist mit Macht und Pomp leicht zu beeindrucken.

Wie die Geschichte so spielt: Im Weissen Haus residiert ein irrer König, und in Peking herrscht der gerissenste und mächtigste Führer seit mindestens drei Jahrzehnten.

Genau so ging Xi an den bislang zwei bilateralen Treffen, im April in Florida und im November in Peking, mit dem Amerikaner um. Er lobte ihn und beeindruckte ihn mit seinem Machtapparat und der fünftausendjährigen Geschichte Chinas. Die Strategie ging auf: Trump frass Xi aus der Hand.

Die beiden Männer gleichen sich in ihrem Machtdenken, doch ansonsten könnten die Unterschiede kaum grösser sein: Trump will bessere Deals für Amerika machen. Xi will langjährige Bindungen mit China erreichen. Trump denkt transaktional und kurzfristig, Xi denkt relational, strategisch und langfristig. Trump ist ohne Leistungsausweis im Weissen Haus gelandet, Xi hat sich über Jahrzehnte in der brutalen Karriereschule des Parteiapparats beweisen und sich gegen tausende Widersacher durchsetzen müssen.

Die Historie ist voller Zufälle. Heute, in der ersten Hälfte des «Asiatischen Jahrhunderts», wollte es der Zufall, dass im Weissen Haus ein irrer König residiert, während in Peking mit Xi Jinping der gerissenste und mächtigste Führer seit mindestens drei Jahrzehnten herrscht.

Schon nach einem Jahr ist klar: Trump war ein gigantisches strategisches Geschenk für China. Nichts, was der Amerikaner in seiner heutigen Rede am WEF sagen wird, wird daran etwas ändern.

Die Welt hält den Atem an und blickt nach Davos. Doch der wahre Gewinner der Trump-Präsidentschaft ist dieses Jahr nicht in die Schweiz gereist.

Er sitzt in Peking. Und lächelt.