Der lachende Dritte

Nur eine tote SRG ist eine gute SRG, sagen die No-Billag-Initianten. Tamedia-Präsident Pietro Supinos Rechnung geht anders: Eine domestizierte SRG ist noch viel besser.

Von Simon Schmid, 24.01.2018, Update: 15.30 Uhr

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Portrait Pietro Supino lächelnd
Steht bereits als Sieger fest: Pietro Supino.Tamedia

Am 4. März wird über No Billag abgestimmt. Darüber, ob die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft abgeschafft wird und mit ihr auch 22 lokale Radiostationen und 13 regionale TV-Kanäle. Die Debatte ist giftig. Sie spaltet Kantone wie Graubünden, wo sich der Gewerbeverband und das lokale Verlagshaus Somedia mit abweichenden Positionen in den Haaren liegen.

Einer bleibt im Hintergrund und kann der Abstimmung mit Gelassenheit entgegen sehen: Pietro Supino, Präsident und Mitbesitzer des landesgrössten Verlagshauses Tamedia.

Supino hält sich aus dem No-Billag-Kampf heraus. Die Publikationen seines Hauses nehmen nur halbherzig gegen die Initiative Stellung*. Mehr ist auch nicht nötig: Egal, wie die Stimmbevölkerung in anderthalb Monaten entscheidet – Tamedia steht bereits als Siegerin fest. Der Konzern hat sich über die letzten Jahre in eine ausgezeichnete Stellung gebracht. Sein jüngster Coup ist die Übernahme der TV-Vermarkterin Goldbach Group. Sie wurde kurz vor Weihnachten angekündigt und soll im Februar besiegelt werden.

Goldbach ist ein bedeutender Player auf dem TV-Markt. Wollen Konzerne wie die Migros oder Nestlé Werbespots im Privatfernsehen buchen, wenden sie sich an die Firma aus Küsnacht. Sie platziert die Spots dann auf Kanälen wie Pro 7 oder RTL und nimmt damit 368 Millionen Franken pro Jahr ein. Tamedia hat sich Goldbach zum Schnäppchenpreis geholt – die verkaufswilligen Aktionäre, Unternehmer Beat Curti und die Finanzfirma Veraison Sicav, verlangten keine Prämie auf den aktuellen Börsenkurs.

Wie gesagt: ein guter Deal. Nicht nur, weil der Börsenkurs von Tamedia seither um acht Prozent gestiegen ist. Sondern auch wegen des strategischen Werts von Goldbach. Tamedia, die Herausgeberin des «Tages-Anzeigers» und von «20 Minuten», erhält mit der Übernahme Zugang zu einem Markt, der bisher anderen Medienunternehmen vorbehalten war: dem Fernsehen. Das mächtigste Verlagshaus der Schweiz wird so noch mächtiger.

Am 4. März stimmen die Schweizerinnen über No Billag ab. Ja oder Nein. Für Tamedia sind beide Szenarien aussichtsreich – aber nicht gleich gut planbar.

Szenario 1: No Billag kommt durch

Im Zentrum der Abstimmungsdebatte stehen die 1,4 Milliarden Franken an Billag-Gebühren, die Haushalte bezahlen. Relevant für die Medienindustrie ist jedoch eine andere Zahl: die 283 Millionen Franken, welche die SRG mit TV-Spots und Sponsoring einnimmt. Wohin würde dieses Geld fliessen, wenn der öffentliche Rundfunk abgeschafft wird?

Wahrscheinlich könnten die verbleibenden Sender grosse Teile davon erben. Macht SRF den Laden dicht, so schalten Migros und Nestlé ihre Spots halt bei Sat 1, TeleZüri, TV24 oder 3+. Der Umsatz von Goldbach würde steigen, Tamedia käme in den Genuss zusätzlicher Werbemillionen. Und hätte nach dem gescheiterten TV3 endlich sein Happy End in Sachen Fernsehen.

Wobei: Die Werbebranche ist ein kapriziöses Geschäft. Werbetreibende wollen selbst umworben werden, und zwar mit hochwertigen Inhalten. Fernsehspots brauchen ein gutes Umfeld, heisst es im Jargon: Kunden, die ein Markenprodukt bekannt machen wollen, brauchen neben dem «Dschungelcamp» auch den Platz vor der «Tagesschau». Fehlen seriöse TV-Formate, leidet die Attraktivität des ganzen Mediums Fernsehen – und mit ihr die Gesamtnachfrage nach TV-Werbeminuten. Werbekunden könnten vermehrt zu Youtube und Facebook abwandern. Denn Videowerbung fürs Netz ist billiger, die Produktion von Spots macht weniger Aufwand.

Ein Ja zu No Billag ist für Pietro Supino somit auch ein Risiko. Zwar winken Tamedia und Goldbach beträchtliche Gewinne. Doch die Firmen müssten wohl auch Geld in die Hand nehmen und einen neuen TV-Kanal aus dem Boden stampfen – oder zumindest Schweizer Programmfenster produzieren.

Man prüfe «gemeinsame Investitionen in Schweizer Programminhalte», sagten die Chefs von Tamedia und Goldbach an der Präsentation des Deals im Dezember. Kommt No Billag durch, müssten sie sehr schnell prüfen. Und sich überlegen, aus einer allfälligen Liquidationsmasse der SRG etwa die TV-Studios auszukaufen. Ein Ja zur Initiative brächte Unsicherheiten. Doch es wäre der günstigste Moment für die Lancierung eines hochstehenden Privat-TV-Kanals, den es in der Schweiz je gegeben hat.

Szenario 2: No Billag kommt nicht durch

Dieses Szenario wäre weniger abenteuerlich. Auf den ersten Blick bliebe alles beim Alten. Trotzdem wäre im Fernsehgeschäft nichts mehr wie früher.

Speziell bei einem knappen Abstimmungsergebnis bliebe der Druck auf die SRG hoch. Die SVP hat für diesen Fall bereits angedroht, eine Initiative zur Senkung der Empfangsgebühren von aktuell 451 Franken (und bald noch 365 Franken) auf 200 Franken zu lancieren. Gut möglich, dass die SRG-Manager schon vorauseilend sparen werden und bei der Anzahl der SRF-Radio- und Fernsehsender und den Inhalten Abstriche machen. Entsprechende Forderungen wurden jüngst auch von der FDP und CVP aufgestellt.

In diesem Szenario wäre Tamedia auf der sicheren Seite. Das für den Schweizer Werbemarkt so wichtige Ökosystem aus gebührenfinanzierten SRG-Inhalten und privatem Kommerz-TV bliebe in groben Zügen erhalten. Gleichzeitig würden sich politische Perspektiven öffnen. Die SRG dürfte, gezwungenermassen oder als freiwillige Konzession an die Verleger, aus Admeira aussteigen: der Werbeallianz, die sie vor zwei Jahren mit Ringier und Swisscom gegründet hat. Tamedia und der Verlegerverband haben diese Allianz – wegen des Mitwirkens von Ringier – stets als Verrat empfunden und sie von Beginn an bekämpft. Mit Erfolg: Das Uvek untersagte der SRG im März 2016 vorerst, ihre Werbung auf Zielgruppen auszurichten.

Vorstösse im Parlament gehen noch weiter. Die Fernmeldekommission des Nationalrats verlangte bereits im Frühjahr 2017, dass die SRG zu einem «Open-Content-Provider» umgeformt wird: Sie soll gratis audiovisuelle Inhalte produzieren und diese den Verlegern zur Verfügung stellen. Erste Tests sind bereits Realität. Ab Februar wird das Schweizer Fernsehen der Tamedia drei Monate lang probeweise Video-Rohmaterial liefern.

Nur eine tote SRG ist eine gute SRG, sagen die No-Billag-Initianten. Pietro Supinos Rechnung geht anders: Eine domestizierte SRG ist noch viel besser.

Das Kalkül erklärt, warum Tamedia-Publikationen wie «20 Minuten» die No-Billag-Debatte mit suggestiven Schlagzeilen anheizen. Offiziell hält sich das Medienhaus zurück und will gegenüber der Republik keine Abstimmungsparole ausgeben. Stattdessen verweist Sprecher Christoph Zimmer auf einen Blogeintrag, den er kürzlich auf einem Branchenportal publizierte: «Schwarz-Weiss-Denken führt in die Sackgasse».

Der Titel passt: Im Graubereich eines eingeschränkten Service public kann Tamedia ihre eigene Geschäftsstrategie hervorragend ausspielen.

Die 360-Grad-Vermarkterin

Diese Strategie ist seit Jahren dieselbe: in einem stagnierenden Markt an Macht zu gewinnen. Dabei werden Mitbewerber mit Konkurrenzangeboten an die Wand gedrückt und später geschluckt. Oder – wenn sie ihre Sache zu gut machen – mit viel Geld akquiriert und so als Konkurrenten eliminiert.

Mit dieser Strategie hat es das Verlagshaus von der Zürcher Werdstrasse zur Marktführerin auf fast allen Kanälen gebracht (für eine genaue Aufstellung: siehe unten). Der Geschäftsertrag hat sich über zehn Jahre verdoppelt, mit der Goldbach-Übernahme auf 1,1 Milliarden Franken. Tamedia steht in der Finanzgemeinde hoch im Kurs. Analysten loben den hohen Cashflow (Daniel Bürki, Zürcher Kantonalbank), die solide Bilanz (Stephan Vollert, Neue Helvetische Bank) und den Vorsprung im Digitalbusiness gegenüber der Konkurrenz (Roger Fischer, AMG Fondsverwaltung). Grosser Trumpf ist «20 Minuten», die einzige sprachübergreifende Onlinezeitung der Schweiz.

Gegenüber Investoren preist Tamedia ihre «360-Grad-Angebote» an. Die weitere Marschrichtung ist klar: Wer in der Schweiz Werbung machen will, soll um Tamedia nicht herumkommen können – und möglichst gleich alle Kanäle beim Traditionskonzern buchen. Native Advertising (also bezahlter Werbejournalismus) ist ein Wachstumsfeld, das intern gefördert wird. Tamedia positioniert sich damit als vollintegrierte Werbeagentur.

Der hiesigen Konkurrenz ist Tamedia enteilt. Das Joint Venture Admeira gilt als kluge Idee, hat jedoch einen Fehlstart hingelegt. In der Werbebranche wird es als verzweifeltes Unterfangen betitelt, das zum Sterben verurteilt sei.

Bleiben Google und Facebook als einzig ernst zu nehmende Gegner. Aus dem gesamten Schweizer Werbemarkt, der je nach Messmethode zwischen fünf und sechs Milliarden Franken umfasst, saugen sie bis zu ein Drittel der Gelder ab. TV-Kampagnen mit Youtube-Spots zu flankieren, ist bereits heute üblich, man erreicht damit besonders junge Konsumenten. Führend sind die Silicon-Valley-Konzerne beim zielgruppenspezifischen Targeting.

Pietro Supino weiss, dass seine Tamedia die internationalen Plattformen nicht kleinkriegen kann. So hat er sich auf die zweitbeste Alternative verlegt: innerhalb der Schweizer Medienlandschaft ein Bollwerk zu errichten, und zwar unter seiner Führung. Hinter den Kulissen wettert Supino schon lange gegen die SRG, als ginge es um die Zerstörung von Karthago. Dass sich im Zuge von No Billag nun auch die breite Öffentlichkeit an der SRG aufreibt, kommt dem 52-jährigen Medienmagnaten gerade recht. Das Hickhack verhindert, dass sein Unternehmen selbst zum Politikum wird.

Am 4. März wird über No Billag abgestimmt. Ja oder Nein. Pietro Supino ist beides recht. Im Gezänk um den Service public ist er der lachende Dritte.

Die Marktanteile von Tamedia

Bei den gedruckten Tages- und Sonntagszeitungen kommt Tamedia auf einen landesweiten Leseranteil von 48 Prozent (Zahlen der Studie MACH Basic 2017-2, ausgewertet vom Medienstatistiker Ueli Custer). In der Romandie geht der Leserinnenanteil sogar gegen 75 Prozent. Die Position wurde sukzessive aufgebaut mit den Käufen von «20 Minuten» (2005), von Espace Media und ihrer «Berner Zeitung» (2007) und den Westschweizer Zeitungen «Le Matin», «Tribune de Genève» und «24 Heures» von Edipresse (2009). Der Anteil am gesamten Werbemarkt im Bereich der Presse liegt bei rund 35 Prozent (eigene Schätzung, wenn man bei Tamedia von einem Ertragsmix Print/Online von 80/20 ausgeht).
Bei den Schweizer Onlineplattformen mit Werberelevanz (also ohne werbefreie Websites wie jene von SRF und Suchmaschinen wie Google) kommt Tamedia auf einen Marktanteil von 59 Prozent (Page Impressions, Zahlen von NET-Metrix 2017-12, selbst ausgewertet). Der Grundstein dafür wurde mit den Beteiligungen und Übernahmen von Websites wie homegate.ch (2004), starticket.ch (2013) oder ricardo.ch (2015) gelegt.
Im Fernsehbereich kommt Tamedia nach der Übernahme von Goldbach (2018) schlagartig auf einen Marktanteil von 47 Prozent des Werbekuchens. Im Radiobereich sind es 27 Prozent (Zahlen Goldbach/WEMF). Goldbach vermarktet ausserdem digitale Werbeflächen im öffentlichen Raum.
Mit dem Kauf der Firma Neo Advertising (2017) agiert Tamedia neu auch bei der Plakatwerbung. Allerdings liegt der Marktanteil hier unter 10 Prozent.

* In einer früheren Version des Textes wurde die Berichterstattung der Tamedia-Publikationen als ‹kontradiktorisch› bezeichnet. Das ist nicht zutreffend, da keine Tamedia-Publikation in einem Kommentar ein Ja zu No Billag empfohlen hat. Tamedia verweist in diesem Zusammenhang auf einen Bericht des Forschungsinstituts für Öffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich, der dem «Tages-Anzeiger» eine negative und der «Berner Zeitung» eine leicht negative Tonalität zu No Billag attestiert.